Die Bildung einer klaren und positiven eigenen Identität ist eine Voraussetzung für die Stärke und Ausrichtung der eigenen Person. Bei einer unklaren, zwiespältigen oder gebrochenen Identität, sowie bei einer Identifikation mit negativen Vorbildern kann es im Prozess der Identitätsbildung allerdings auch zu Fehlausrichtung der eigenen Person kommen, die von lebenslänglicher Bedeutung und schicksalhafter Dramatik sein können. Wie bildet sich bei Menschen deren  Identität?

Die eigene Identität bildet sich immer an anderen Menschen, also an „Du-s“. Sie kann in Annahme oder im Widerstand entstehen. Entsprechend bilden sich ähnliche oder konträre Strukturen Vorbildern in der sich identifizierende Person aus.

Die meisten Menschen haben in ihrem Leben zuerst eine Hauptbezugsperson, die Mutter oder den Vater. Daran richten sie sich in ihrer Ich Identitätsbildung aus.

Meistens scheint sich das erste Kind an der Mutter zu orientieren und das zweite am Vater. Es kann aber auch durch die Geschlechtsidentität ein erstgeborenes Mädchen sich stärker am Vater ausrichten, oder ein zweitgeborener Junge an der Mutter.

Wer das Verhalten seiner Hauptbezugsperson als positiv empfindet, wird sich eher in die Ähnlichkeit hinein entwickeln, wer deren Verhalten als negativ erlebt, eher in den Widerstand und damit in eine konträre Haltung.

Auch wenn sich eine Bezugsperson äußerlich lustig gibt, kann sie innerlich depressiv sein. Kinder empfinden eine solche Polarität. Sie können sich dann mit der Außenseite ihrer Bezugsperson identifizieren oder mit deren verborgener Innenseite.

Bei einer Mehrzahl von Kindern identifizieren diese sich meistens mit unterschiedlichen Aspekten der zur Verfügung stehenden Bezugspersonen.

Bezugspersonen können außer den Eltern auch die Großeltern oder Onkel und Tanten sein.

Rechnet man einmal 2 Eltern, 4 Großeltern und 2 Paten als nahe liegende mögliche Bezugspersonen, dann sind das 8 Personen, mit denen sich ein Kind identifizieren könnte. Die Unterscheidung von deren bewussten und unbewussten Anteilen verdoppelt die Zahl auf 16 Möglichkeiten, und nimmt man dann noch die Unterscheidung von Akzeptanz oder Trotz hinzu, so ergeben sich für jedes Kind 32 Möglichkeiten der Identifikation mit den Bezugspersonen.

Es wundert also nicht, dass verschiedene Kinder derselben Eltern extrem unterschiedliche Charaktere ausbilden können.

Bislang wurden die Möglichkeiten bei einer Vollidentifikation beschrieben. Hinzu kommen die vielen Variationsmöglichkeiten bei Teilidentifikationen oder Mehrfachidentifikationen. Zum Beispiel: Im Außenauftritt kann jemand fröhlich wie seine Mutter sein, innerlich aber zugleich depressiv wie sein Vater. Oder: Jemand kann von einer Oma die Großzügigkeit übernehmen, von der Mutter die Ängstlichkeit, vom Vater das technische Interesse, von der Tante die Vornehmheit, vom Onkel die Reiselust.

Es wird deutlich, dass es eine erhebliche Zahl von Kombinationsmöglichkeiten und Identifikationsvarianten  gibt. Wenn sich dabei Aspekte wie Reiselust und Ängstlichkeit nicht vertragen, kommt es in einer Person zu inneren Spannungen und Konflikten.

Weitere Identifikationsmöglichkeiten, die allerdings überwiegend erst nach der Kleinkindzeit eine Rolle spielen, liegen in Rollen, Funktionen, Lebensaltern, Werten, Normen, Idealen, Weltanschauungen, Parteien, Institutionen, Nationen, Fussballvereinen, etc. Dazu später noch mehr.

Fehlidentifikationen

In einigen Fällen ist auch festzustellen, dass jemand in einer frühen Lebensphase in seiner Familie mit einer abwesenden Person identifiziert wird, was zu einem inneren Konflikt des Betroffenen führen kann.

Wer Heinz heißt und einen im Krieg gefallenen Onkel Heinz hatte, kann in seiner Familie zum Stellvertreter des Gefallenen werden. Das passiert insbesondere dann, wenn der Tod des gefallenen Heinz in der Familie nicht verarbeitet worden ist. Die Übertragung kann allein schon dadurch geschehen, dass man bei der Auswahl des Namens für ein Kind bewusst oder unbewusst die Assoziation zu dem fehlenden Heinz hatte, und bei jeder Ansprache des Kindes mit seinem Namen eine Emotion mit ausgelöst wird, die dem verstorbenen Heinz gilt.

Das mag sich nonverbal in einer matteren Stimme, begleitendem Seufzen: „ach, Heinzchen“ und/oder einer dauerhaft gedrückten Stimmungslage niederschlagen.

Kommt jemand zum Coaching, der nicht recht weiß, was er will oder soll, der unerklärliche depressive Stimmungen in sich findet und sich damit auseinandersetzt, so können das Hinweise auf eine solche Fehlidentifikation und Stellvertreterschaft sein.

Man kann davon ausgehen, dass das Unterbewusstsein flexibel genug ist, um auch bei Namensvarianten wie: Heinrich, Heinz, Heiner, Hein oder wenn dieser Name als zweiter oder dritter Vornamen verborgen ist, entsprechende Identifikationen bewirken kann.

Eine betroffene Person sollte möglichst aus einer Fehlidentifikation heraus treten und möglichst vollständig in ihre eigene Persönlichkeit hinein zu treten versuchen. Dafür kann  es in dem geschilderten Heinz-Beispiel helfen, von beiden Personen je ein Foto aufzuhängen und sich ausdrücklich klar zu machen, dass es getrennte und voneinander völlig unabhängige Personen sind, die nichts miteinander zu tun haben.

Wenn der Betroffene dann zum Verstobenen in eine „Du-Kommunikation“ tritt, kann er ihn aus sich heraus lösen und mit ihm als einem externen Gegenüber kommunizieren. Bei besonders starker Fehlidentifikation sprach man früher von Besetzung oder Besessenheit durch ein anderes Wesen. Im beschriebenen Sinn wird das verständlich, auch ohne dass man die Existenz eines autonom agierenden externen Wesens annehmen muss.

Warum Fehlidentifikationen zu Unglück führen

Außerdem kann es zu Fehlidentifikationen kommen, wenn jemand in eine bestimmte Rolle gepresst wird oder sie aufgreift. Wenn jemand beruflich seinem Vater folgt, kann das im positiven Fall unterstützend sein. Im neutralen Fall kann es zwar ebenfalls unterstützen aber im negativen Fall kann jemand in eine Nachfolge geraten, die ihn so fesselt, dass er daran leidet und im schlimmsten Fall daran zugrunde geht.

Ich habe erlebt, dass jemand die von seinem Vater übernommene Firma unbewusst intuitiv in einen Konkurs führte, bloß um aus ihr herauszukommen.

Jemand kann in die Rolle des Nachfolgers geraten oder sie vielleicht auch gern als Möglichkeit ergreifen. Letzteres ist meistens unproblematisch, wenn der Betreffende sie dann auf eine ihm persönlich entsprechende Weise gestaltet und weiterentwickelt. Das wird allerdings oft von anderen Familienmitgliedern behindert oder angegriffen.

Ein Familienmitglied kann aber auch in die Rolle des Schwarzen Schafes geraten und dabei gewissermaßen den „Auftrag“ erhalten, dass ihm alles schief geht. Insbesondere wenn Rollen negativ oder destruktiv besetzt sind, kann das fatale Konsequenzen haben kann.

Entsprechend wichtig ist es, sich selbst mit positiven Vorbildern aktiv zu identifizieren. Das kann einerseits gelingen, indem man klare Visionen des eigenen Lebens entwickelt, andererseits indem man sich an anderen Personen orientiert, die etwas vorgelebt haben oder vorleben, das man sich selbst wünscht.

Wichtig ist für eine starke Identität, dass man sich von dieser Person etwas abguckt, was man dann auf seine Weise nachahmen oder sogar verbessert kopieren kann. Tiefenpsychologisch besonders geeignet, weil oft stärker wirksam, sind dafür Personen, die man schon in der eigenen Kindheit gekannt hat, und deren Leben tatsächlich einen günstigen Verlauf genommen hat.

Erfolgreiche und glückliche Menschen stellen jeweils denen  Beweis der Möglichkeit von gutem Gelingen dar und können einen deshalb ermutigen, selbst auch ein solches Gelingen zu erstreben und zu erarbeiten. Wenn man sich mit den Biographien von Personen, die einen beeindruckt haben, auseinandersetzt, wird man meistens finden, dass zu deren Gelingen viel Mühe, Ausdauer und Arbeit erforderlich war. Man kann daran einerseits seine Hoffnung und Motivation für das eigene Tun nähren, sich andererseits auch aktiviert fühlen, selbst sein Leben in die eigene Hand zu nehmen und seine eigene Identität für sich zu klären. Dazu biete ich ein Seminar: „Selbstführung – Selbstmanagement und Selbstmotivation“ in Köln an.

Winfried Prost
www.winfried-prost.de
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