Grundsätzlich bin ich ein Verfechter der feinen sezierenden psychologischen Kunst der individuellen Motivanalyse und von darauf folgenden Motivationsversuchen, bei denen man gewünschte Ziele mit den vorhandenen Motiven verknüpft. Es handelt sich dabei um die Königsdiziplin dialektischer Kommunikation. Praktisch ist dieser Aufwand nur bei einer begrenzten Zahl von einzelnen, wichtigen Personen zu leisten.

Bei großen Mitarbeitergruppen oder für eine ganze Firma ist das nicht zu leisten und es braucht andere Herangehensweisen.

Zahlreiche Führungskräfte, die ich in meinen Dialektik-Seminaren für die Motivanalyse begeistern können, berichteten mir später, dass sie mit so viel Analyse und Empathie im Alltag überfordert seien. Vor allem gäbe es träge Gestalten oder Gruppen unter ihren „ererbten“ Mitarbeitern, die jedem Motivationsversuch widerstanden hätten. Sie seien erstarrt, eingeschlafen, unkooperativ und hätten innerlich gekündigt. Die Frage bleibe ungelöst: Wie lassen sich auch solche Menschen aktivieren?

Mit einem motivationspsychologischen Ansatz würde man versuchen, ihre Motive, ihre Persönlichkeitsstruktur sowie ihre inneren Identifikationsmuster durch Interviews und Verhaltensanalysen zu erkennen und dann daran anknüpfen.

Aktivierung kann aber auch auf eine ganz andere Weise, nämlich nicht mit Worten und Freundlichkeiten, sondern mit physischen Impulsen starten: Zum Beispiel mit einem Umzug.

Menschen gewöhnen sich nämlich mit der Zeit an ihr Umfeld und die darin eingespielten Verhaltensgewohnheiten und erlahmen dann oft darin. Mobile Arbeitsplätze sind da eine wunderbare Möglichkeit, ein faules Wohnen im Gewohnten zu verhindern. Wenn intern arbeitende zu überprüfbaren Außenaktivitäten eingesetzt werden, fallen noch mehr alte Gewohnheiten weg. Wenn eine Firma oder eine Abteilung erst das Gebäude, den Stadtteil oder den Ort wechselt, fällt auch der gewohnte Arbeitsweg fort. Neue Kollegen, eine neue Abteilung, neue Geräte, Maschinen, Arbeitswerkzeuge oder Arbeitszeiten sind weitere Schrauben, an denen man drehen kann, um Menschen wieder wachzurütteln, von alten Gewohnheiten und eingeschlafenen Füßen zu befreien, und auch wieder zu ihrem eigenen
Wohlbefinden in einen anderen Energiestatus zu führen.

Auch wenn der Widerstand gegen solche Maßnahmen zu Beginn erheblich sein mag und die alte (träge) Stimmung verdorben wird – der Chef ist natürlich der Bösewicht – so kann eine neue Situation zu einer neuen lebendigeren Stimmung führen, bei der jeder um seinen neuen Platz kämpfen  und sich mehr engagierten muss als zuvor. Der psychologische „Führungstrick“ liegt dann darin, auch jeden engagierten Widerspruch als neue Aktivität zu erkennen und wertschätzend damit umzugehen. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, es auch Leute gibt, die durch eine lange innere Kündigung schon so entfernt sind, dass man sie nicht mehr erreicht, aber das kann man dann auch als Chance und Gelegenheit nutzen, sie gehen zu lassen oder aktiv zu entfernen. In vielen Fällen ließ sich ein großer Teil der zuvor passiven Mitarbeiter durch solche strukturellen Maßnahmen wieder aktivieren. Wichtig ist es, ein so gewonnenes neues System selbst wieder lebendig zu halten und zu viel Routine und Gewohnheiten zu vermeiden.

Nach meiner Beobachtung sind viele Chefs nicht nur zu freundlich, sondern auch zu skrupulös oder konfliktscheu, um solche Aktivierungsschübe zu wagen und zu vollziehen. Sie  neigen eher dazu, das weiter zu hoffen, was schon in den letzten Jahren nicht passiert ist, oder sie ertragen lieber bis zu ihrer nächsten Versetzung das alte System. Der Aufwand, der eine solche Veränderung bewirkt, ist gewiss erheblich, der Nutzen daraus kann es aber auch sein. Die günstigste Situation für einen solchen Aufbruch ist bei der Neuinstallation eines Chefs. Man kann im Übergang vor seinem Start schon einige Dinge regeln, die nächsten Aktivierungsimpulse sollten dann spätestens nach drei Monaten im ersten Jahr vollzogen werden.

Wenn man sich die Wirkung solcher Impulse auf die bereits aktiven und motivierten Mitarbeiter anschaut, lassen sich auch dort positiv verstärkende Wirkungen beobachten: „Endlich passiert mal was!“ rief ein Mitarbeiter begeistert aus, der über einen Neustart informiert wurde. Zu erleben, dass aus der Führungsebene ein Wille nach vorwärts, zu Aufbruch, Neugestaltung und Veränderung erkennbar wird, die Erfahrung, dass vielen guten und motivierenden Worten auch Taten folgen, motiviert viele Mitarbeiter erheblich. Dabei kann auch deren Mut und Wille zur aktiven Mitgestaltung geweckt werden, erst recht, wenn sie dabei einbezogen werden und man gemeinsam Änderungen bespricht, beschließt und dann auch kurzfristig umsetzt.

 Es gibt kaum etwas Befriedigenderes als Teil eines erfolgreichen Aufbruchs und Wandlungsprozesses zu sen. Entsprechend  hilft es, die einzelnen Schritte dabei transparent zu machen und jeden dabei eigene Erfolge erleben zu lassen.

Winfried Prost
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